Zeitung für Schland

El Baradei und die ewigen Probleme der Übersetzung

Posted in Zwei mal Drei macht Vier by Mr. Moe on Dezember 15, 2008

Mohammed El Baradei, Generaldirektor der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEA), antwortet in einem Interview auf WELT ONLINE auf die brillante Frage, ob die „Iran-Politik der internationalen Gemeinschaft ein Erfolg oder ein Misserfolg“ sei, folgendes:

Bisher war sie ein Misserfolg. Eigentlich haben wir uns keinen Zentimeter bewegt, außer dass wir einige Resolutionen des Sicherheitsrates angenommen und Sanktionen verhängt haben, die tatsächlich zu einer Verhärtung der iranischen Position geführt haben, auch bei den Iranern, die das Regime nicht mögen. Aussicht auf Erfolg besteht erst, wenn die Parteien – und damit meine ich die USA und den Iran – sich an den Verhandlungstisch setzen und über Missstände zu sprechen beginnen, die bis 1953 zurückreichen (damals half der CIA den iranischen Premier Mohammed Mossadegh zu stürzen, d. Red.). Für den Iran geht es um Sicherheit und einen Machtkampf mit den USA im Nahen Osten. Der Iran ist von einigen Atomstaaten umgeben. Er ist von 150.000 US-Soldaten umgeben. Es gibt also ein Gefühl der Unsicherheit, genau wie in Nordkorea. Wirklichkeit oder Mythos, so ist es, und man muss damit umgehen. Man muss verstehen, warum der Iran auf die Entwicklung der Atomtechnologie drängt. Möglich, dass sie es nicht gleich auf die Waffe abgesehen haben, wie sogar der amerikanische „National Intelligent Estimate“ schließt, aber sie wollen definitiv die Technologie, weil sie glauben, die Technologie verschaffte ihnen die Macht, das Prestige und den Einfluss und würde sie am Ende in die Lage versetzen, ein großes Geschäft mit den USA, mit dem Rest der Welt zu machen – ein großes Geschäft, das ihnen, aus ihrer Perspektive, ermöglichte, die Rolle der Regionalmacht zu spielen, auf die sie Anspruch zu haben meinen. Der Iran hat eine tausendjährige Basar-Kultur. Sie warten auf den besten Preis und werden alles dafür tun, ihn zu bekommen. Das wird nicht anders werden, solange die USA sie nicht respektvoll behandeln und das große Ganze sehen.

Viele Worte für eine simple Aussage: Iran muss – ebenso wie Nordkorea – allein aus Gründen der Verteidigung nach der Bombe streben. Da das Land Israel für El Baradei demnach nicht zu existieren scheint, fragt WELT ONLINE nach, ob El Baradei Iran als „religiös fundamentalistischen Staat, der mit Hochdruck Atomwaffen entwickelt, um, wie seine Führer sagen, Israel zu zerstören“ sehe. Die Antwort:

Ich bin kein Iran-Spezialist. Aber wenn ich in den Iran reise, sehe ich dort alle erdenklichen Farben und Schattierungen, vom Atheisten über den religiösen Fanatiker bis hin zu Menschen, die den westlichen Lebensstil übernehmen. Der Iran ist da nicht anders als jedes andere Land. In der Gesellschaft werden alle möglichen Standpunkte vertreten. Alles hängt davon ab, wer an der Macht ist.

Die Bezeichnung „billiger Allgemeinplatz“trifft das unsägliche Wischiwaschi-Gesabbel EL Baradeis nicht einmal annähernd. Doch weg von inhaltsleeren Phrasen und hin zu El Baradeis „Überzeugungen“:

Nun ist meine Überzeugung, dass die Beschäftigung mit dem Iran, die Integration des Landes in den Rest der Welt den Einfluss der Gemäßigten vergrößern würde. Isolation und Druck hingegen vergrößern den Einfluss der Hardliner. Das lässt sich überall anders in der Welt beobachten. Einige Äußerungen einiger iranischer Spitzenpolitiker über Israel waren widerwärtig. Allerdings wurde mir auch gesagt, dass wenn man diese Äußerungen in Farsi lese – und ich kann Farsi nicht lesen -, diese besagten, dass Palästina ein Staat sein sollte und nicht ein jüdischer Staat, was sich von den Äußerungen Jassir Arafats, vieler Palästinenser und sogar Hannah Arendts, der jüdischen Philosophin, nicht unterscheidet. Indes wurde der Eindruck erweckt, dass diese Äußerungen besagten, Israel solle von der Landkarte gefegt werden. Solche Äußerungen sind, um das Mindeste zu sagen, widerwärtig und nicht hilfreich.

Dass El-Baradei die Mär vom Übersetzungsfehler verbreitet, ist eine Ungeheuerlichkeit, die mit seiner Position als Generaldirektor der IAEA eigentlich nicht zu vereinbaren sein sollte. Ein Mann, der die Äußerungen von Ahmadinedschad & Konsorten trotz zahlreicher Wiederholungen und vergleichbaren Aussagen allen Ernstes als Missverständnis hinstellt,  ist Chef-Inspektor der Vereinten Nationen und als solcher eine der obersten Instanzen hinsichtlich der atomaren Frage: Handelte es sich um eine satirisches Phantasieprodukt, es dürfte an dieser Stelle gelacht werden. Doch die Realität ist leider alles andere als erheiternd:

Doch wenn man eine Strategie entwickeln will, die eine Generation lang Bestand haben muss, kann man sie nicht allein auf eine bestimmte Rhetorik gründen. Selbst wenn die Rhetorik widerwärtig ist, muss man immer noch mit diesen Leuten reden, Fragen klären und dafür sorgen, dass ihre Haltung sich ändert. Das ist es, was wir kreative Diplomatie nennen. Es ist frustrierend, braucht Zeit, aber einen anderen Weg gibt es nicht. Ich sehe keine andere Lösung.

Hier wird noch einmal deutlich, dass El Baradei – wie so viele andere – eine folgenschwere Differenzierung trifft: Zwischen „widerlicher Rhetorik“ – also bloßem Gerede – auf der einen, sowie den von den Worten peinlichst genau zu unterscheidenden Taten auf der anderen Seite. Frei nach dem Motto: Wer den Judenmord ankündigt, der wird ihn doch auf keinen Fall realisieren wollen! Darüber hinaus sei Iran zudem ja auch so ein tolles Land:

Iran ist das fortschrittlichste Land der Region. Farsi ist die Sprache Nummer eins für Übersetzungen deutscher Philosophie. Im Iran erlebt man Diskussionen über Kierkegaard, über Heidegger. Die Vorstellung, die Iraner wären verhärtet oder kämen aus dem Mittelalter, muss offensichtlich korrigiert werden.

Denjenigen, die den Verweisen El Baradeis auf die Kulturverliebtheit der Iraner und der  Euphemisierung des Mullah-Regimes als „fortschrittlichstes Land der Region“ auch nur irgendetwas abzugewinnen vermögen, sei Wahied Wahdat-Haghs Beitrag über die Lage der Bahai im Iran nahegelegt sowie auf die iranische Rechtssprechung hingewiesen, nach der widerwärtige Verbrechen gemäß dem Grundsatz der Vergeltung mit entsprechend widerwärtigen Methoden begegnet wird. Wie das Mullah-Regime im Jahr 2008 in einem Vergleich mit dem Mittelalter abschneiden würde, vermag daher jeder selbst zu beurteilen.

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5 Antworten

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  1. Bernd Dahlenburg said, on Dezember 15, 2008 at 9:23 pm

    Gut gemacht!

    Grüße
    Bernd

  2. […] Heuchlers wird in einem Interview mit der WELT deutlich – allerdings erst durch das Fisking durch Mr. Moe in der Zeitung für Schland. – Die Eheleute Heath und Deborah Campbell aus News Jersey: Sie haben ihren Sohn „Adolf Hitler […]

  3. […] dass Mohammed El Baradei, Generaldirektor der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEA), leugnet, dass Iran Israel mit der Vernichtung droht. In einem Interview mit der Washington Post wiederholt El Baradei diese Ansicht und verkündet […]

  4. Erdbeben im Nahen Osten « said, on Februar 2, 2011 at 12:10 pm

    […] Atomenergieorganisation (IAEA) alles tat, um die Gefahr eines nuklear bewaffneten Iran herunterzuspielen – verfügt sie jedoch über einen prominenten Fürsprecher und Bündnispartner, der nur zu gerne […]

  5. Erdbeben im Nahen Osten | ThinkTank34 said, on Februar 2, 2011 at 4:54 pm

    […] Atomenergieorganisation (IAEA) alles tat, um die Gefahr eines nuklear bewaffneten Iran herunterzuspielen – verfügt sie jedoch über einen prominenten Fürsprecher und Bündnispartner, der nur zu […]


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